Franca
Parianen

Forscherin Hirn und Gesellschaft / Science Communicator

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Foto von Franca Parianen
  • Soziales & digitales Denken
  • Sex & Gender
  • Gerechtigkeit

Biografie

Franca Parianen, geboren 1989, ist Neurowissenschaftlerin. Sie erforscht die Schnittstelle zwischen Natur- und Geisteswissenschaft, Mensch und Gesellschaft, oder wie sie sagt: Das ideale Fachgebiet für Leute mit Entscheidungsschwierigkeiten. Interdisziplinarität ist ihr Ansatz und genauso breit aufgestellt sind ihre Themen. In ihren Büchern und Vorträgen taucht sie tief ein in die Welt der Botenstoffe und Neuronen und überträgt die Erkenntnisse gleichzeitig auf die Probleme unserer modernen Welt: Kommunikation und Kooperation; Bildung und Verteilung; Offline oder digital vernetzt.

Ausgestattet mit einem Bachelor in Public Administration (Politik, Ökonomie, Soziologie und Jura) und einem Research Master in Neurowissenschaft, ist sie dem sozialen Verhalten auf der Spur – und der Frage, warum es uns so schwerfällt. Sie besuchte Fairtrade-Unternehmen auf Mauritius und arbeitete als Koordinatorin beim Eine Welt Netz NRW. Später untersuchte sie soziale Entscheidungen im Labor, maß Hirnströme und begann ihre Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Human and Brain Sciences.

Alles zusammen floß in ihre Bücher etwa in »Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage« (2017), das zum Teil in Südostasien und Kuba entstand und monatelang auf der Bestsellerliste vertreten war. In ihrem aktuellen Buch »Teilen und Haben« (2021) spannt Parianen einen Bogen von den Anfängen menschlicher Gemeinschaft, über die kindliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit bis zur Herausforderung globaler Ressourcenverteilung. Immer getrieben von der Frage, warum alles, was Menschen einmal geteilt haben – ob Nahrung, Wissen oder Care-Arbeit – seitdem regelmäßig untergeht. Die Neue Westphälische beschreibt das mit den Worten: »Franca Parianen trifft mit ihrem Buch den Nerv der Zeit. Geistreich, humorvoll und für Laien leicht verständlich…«

Schon vor ihrer Karriere als Autorin, trat sie nicht nur erfolgreich als Science-Slammerin in Bars und bei Meisterschaften auf, – 2017 gewann sie den Neuro-Slam der Deutschen Gesellschaft für Neurologie – sondern auch als Speakerin, Gastkolumnistin und Interviewpartnerin in Talkshows.

Die zweite Hälfte ihrer Doktorarbeit verschlug sie ans Helmholtz Institute Utrecht, wo sich alles um das Sozialleben auf der Ebene von Hirn und Hormon dreht. Wie formt Kindheitserfahrung Stress- und Bindungshormone? Welche Rolle spielt Epigenetik? Welche Mythen halten Frauen zurück und was hat Testosteron mit Elternschaft zu tun? »Auch Hormone sind politisch«, sagt Parianen, »denn sie schlagen Brücken zu Gender, Medizin und sogar Umwelt- und Schulpolitik«. Im Sinne der Aufklärung können sie Vorurteile nicht nur bestätigen, sondern ausgezeichnet damit aufräumen. Dafür kämpft Parianen in ihrem dicksten Buch: »Hormongesteuert ist immerhin selbstbestimmt« (2020). »Wer sich selbst und seinen Körper kennen lernen will, der muss das neue, rasant geschriebene Buch von Franca Parianen lesen«, empfiehlt der Deutschlandfunk ihr Buch.

Franca Parianen lebt mit ihrem Mann in ihrer Wahlheimat Berlin.

Vorträge

Teilen heißt Überleben, zumindest aus Sicht der menschlichen Evolution. Denn wer teilt hat in unserer stürmischen Geschichte ziemlich oft mehr – Wissen, Risikoabsicherung und Gemeinschaftsgewinn. Also, wie kommt es, dass wir unser einziges Alleinstellungsmerkmal heute ständig als Verlustgeschäft sehen? Warum fällt es uns ausgerechnet bei den Werten so schwer, die eigentlich allen zur Verfügung stehen? Bei den Gemeingütern, bei sauberer Luft, fruchtbarem Boden, Trinkwasser und CO2 Kapazität, genauso wie bei Wissen und medizinischem Fortschritt. Und überhaupt: Wenn teilen so schön ist, warum ist dann Jeff Bezos so reich? Was bedeutet es, wenn grenzenloser Besitz das wackelige Gleichgewicht aus Fairness und Kooperation kippt, sodass alles, was wir mal geteilt haben – Wissen, Essen oder (Care-)Arbeit – als erstes unter den Tisch fällt. An den Grenzen unserer Ressourcen wird Verteilung wieder zur Überlebensfrage. Es ist höchste Zeit, dass wir uns damit auseinandersetzen.

Noch nie hatten Menschen Zugang zu so viel Information. Und entsprechend überfordert stellen wir uns auch an. Statt den Informationsüberfluss zu nutzen, um Annahmen zu bestätigen, verbessern oder zu verwerfen, nehmen wir lieber mit, was uns gefällt. Wir vermeiden Quellenangaben, verbreiten Fehlinformation, verstärken Randmeinungen und suchen bei jedem Disput eine goldene Mitte, selbst wenn die meilenweit vom wissenschaftlichen Konsens liegt. Gerade da, wo wir versuchen, besonders neutral zu sein, verzerren wir Meinungsbilder und Mehrheiten. Dabei ist beides entscheidend dafür, wie Menschen Informationen verarbeiten und sich eigene Meinungen bilden. Also, wie reden wir über Wissenschaft und Wirklichkeit? Wie gehen wir mit unseren eigenen Denkfallen um? Und wie machen wir endlich das Beste aus dem Berg an Information?

Eine vernetzte Weltgesellschaft – von acht Milliarden Menschen – ist eine enorme Herausforderung, wenn man bedenkt, dass unsere Spezies seit Menschengedenken eher in Gemeinschaften aus 100 Leuten lebte. Selbst heute umfasst unser persönliches Netzwerk durchschnittlich kaum mehr als 100 Leute – auch wenn unsere Facebook-Freundeslisten etwas anderes nahelegen. Das Internet bietet heute ungeahnte Möglichkeiten der Verbundenheit und gemeinsamer Organisation. Gleichzeitig verstärkt es unsere liebsten sozialen Denkfehler und fügt hilfreich neue hinzu. Ob es um unseren Hang zum Gruppendenken geht, zur egozentrischen Wahrnehmung oder dem bereitwilligen Zurechtbiegen jeder kognitiven Dissonanz. Doch wie lässt sich soziale Kognition in die digitale Welt übertragen? Wie bildet sich Meinung in Filterblasen? Wo liegt die Grenze zwischen Schwarmintelligenz und Schwarmdoofheit? Ist das noch Anteilnahme, oder schon komplette Überforderung? Und warum sind im Internet alle so gemein?

Digitalisierung bedeutet Veränderung und entsprechend skeptisch stehen wir ihr gegenüber. Oder haben sie gleich vermieden, bis es nicht mehr ging. Also bis 2020. Jetzt stehen wir vor der Herausforderung, Zusammenarbeit neu zu erfinden, genauso wie unseren eigenen Tagesablauf und unsere Motivation. Im Ausgleich bietet uns die Welt eine einzigartige Chance all das zu entrümpeln, was uns sonst vom Arbeiten abhält – zugunsten von selbstgestalteten Rhythmen und intrinsischer Motivation. Also, was hält unser Gehirn davon, wenn die Welt auf einmal ins Homeoffice geht? Wie gehen wir damit um, wenn sich unser Sozialleben plötzlich auf ein Bildschirmfenster konzentriert? Wo ist der Unterschied zwischen einem Stresstest und der Zoomkonferenz? Wie erkennt man Ironie in einer Arbeits-E-Mail? Und wie würde unser Gehirn seinen Tag gestalten, wenn man es nur lässt?

Intrinsische Motivation ist die Königsdisziplin. Das ideale Level an Herausforderung und antizipiertem Gewinn, bei dem die Arbeit leichtfällt und die Stunden nur so dahinfliegen. Aber was sind die Voraussetzungen für den Flow? Was passiert, wenn wir ohne diesen Antrieb arbeiten müssen? Und wie haben wir es geschafft, eine Arbeits- und Schulwelt zu bauen, die ihn konstant unterminiert?

»Warum bin ich nicht produktiv?«, fragt sie, während es drinnen lärmt, draußen rumort und der Urlaubs- und Fünfjahresplan gleichzeitig zusammenbricht. Zum Thema ›stressfrei leben‹ gibt es mehrere Millionen Google Resultate und sie alle klingen recht euphemistisch, wenn das Leben gerade nun mal nicht stressfrei ist. Sie lassen sich ja auch nicht ignorieren, die Nachrichten um Chaos, Unruhe und den klimabedingten Zusammenbruch des Planeten. Vor allem werden sie dadurch nicht besser. Letztendlich verlieren wir durch gezielte Ignoranz vor allem Verständnis und Kontrolle. Dabei ist Selbstwirksamkeit einer der wichtigsten Schutzfaktoren gegen Stress. Also sollten wir uns besser die Frage stellen: Wie mit Stress leben? Wie erkennen wir die Art von Stress, die uns kraftlos macht und auf lange Sicht in Kopf und Körper niederschlägt? Was macht das mit unserem Denken? Und können wir uns dagegen wappnen?

Am Anfang war die Care-Arbeit, dicht gefolgt von der gemeinschaftlichen Organisation. Beidem verdanken wir unser schickes großes Gehirn, dicht gefolgt vom Rest unserer Zivilisation. Wer soziale Fähigkeiten heute unterschätzt, der unterschätzt auch all das, was Organisation braucht: Perspektivübernahme, Vertrauen, Kommunikation, Fairness und Konsequenzen. Er unterschätzt auch die Probleme, die sich daraus ergeben, wenn diese Bedingungen fehlen. Denn mit unserem Bedürfnis nach Gerechtigkeit und Vertrauen entsteht auch der Wunsch allen eins überzubraten, die diese Prinzipien verletzen. Auch Neid und Schadenfreude sind sehr soziale Gefühle. Ohne sie zu beachten lässt sich ein Unternehmen genauso wenig organisieren wie unsere Gesellschaft.

Geschlecht ist wichtig, allein schon, weil wir es wichtig nehmen. Darüber zu reden lohnt sich, weil biologische Forschung Geschlechterklischees selten bestätigt, aber sehr gut damit aufräumen kann. Zugegeben: Die Welt ist einfacher, wenn man sie in Schubladen teilen kann, aber dann sollten sie wenigstens in den Schrank der Wirklichkeit passen. Und da hört es mit der Vereinbarkeit von Biologie und Geschlechterklischees eigentlich schon auf. Denn die ließ sich noch nie in zwei Boxen teilen, auf denen wahlweise Östrogen oder Testosteron steht und noch weniger in das, was wir mit diesen Hormonen assoziieren. Die Wirklichkeit ist spannender: Eine Welt in der Testosteron selten aggressiv und Östrogen alles andere als emotional macht, uns dafür aber beide Hormone bei Resilienz und Elternschaft unter die Arme greifen. In der Unterschiede zwischen allen Geschlechtern fließend sind, allein schon weil sich Testosteron einfach in Östrogen umwandeln lässt, und weil die Art wie Hormone sich ausdrücken immer auch eine kulturelle Frage ist. Es gibt viel aufzuräumen an Mythen und Missverständnissen. Über Männer, Frauen und alle dazwischen, Periode und Pille, den Kinderwunsch und den Wunsch, Kinder auf drei Armlängen von sich fernzuhalten. Über Aggression und Lust, PMS und die Vorstellung, dass ein Eierstock spätestens ab 32 bedrohlich tickt. Höchste Zeit, uns dem Thema zu stellen.

Hormone stören beim Denken. Genauso wie Gefühle. Jedenfalls in unserer Vorstellung, in der das rationale Ich vor allem in unserem präfrontalen Cortex sitzt und es den Rest unseres Körpers irgendwie zum Überleben braucht, obwohl er schnarcht. Dabei überschätzen wir nicht nur grenzenlos unsere Fähigkeit zur objektiven Rationalität, wir unterschätzen auch alles, was es zum Denken braucht: Antrieb, Fokus und mentale Kapazität. Erinnerungen, die keinen emotionalen Bezug haben, merkt sich der Hippocampus schonmal gar nicht. Hormone formen (mentale) Gesundheit, Beziehungen, Entwicklung und Identität. Und doch sorgen wir uns weit mehr darüber, wie sie Frauen, Männer und Schwangere beeinflussen als über all das, was wir mit ihnen anstellen. Ob wir unseren Schlafrhythmus durch Schichtarbeit aushebeln, Hormone in Pillenform produzieren, oder über Plastikstoffe hormonelle Wirkstoffe bis an den Grund des Ozeans verteilen. Unser relatives Unwissen über die Welt der Hormone hat uns eigentlich noch nie davon abgehalten, mit ihnen zu experimentieren. Seit einigen tausend Jahren, über Kosmetik, Medizin und Landwirtschaft und in letzter Zeit in ziemlich großem Stil.

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